Ich wurde gestern mehrmals um eine Stellungnahme hierzu gebeten und daher schreibe ich nun auch etwas, obwohl ich finde, dass Amiga und mb80 hier schon viele gute Argumente gebracht haben und ich eigentlich denke, dass eine Diskussion über die Problematik mehr bringt, als wenn jemand sozusagen als oberster Geschmackspolizist noch etwas sagen soll. Das bin ich nicht und will ich nicht sein und es würde das Produktive an einer solchen Diskussion abwürgen.
Ich sehe Bioshock als eines der am besten erzählten Computerspiele aller Zeiten, auch wenn einige Elemente (Plasmide) schon von Deus Ex erfunden wurden. Von der literarischen Qualität her hätte ich aus dem Bauch heraus ohne weiteres FSK 16 für gut befunden und kann mir auch vorstellen, dass man aus so etwas mal Unterrichtsstoff für die Schule machen könnte -- interdisziplinäres Thema: utopische/dystopische Literatur, politische Systeme/Gesellschaftsordnungen, ethische Aspekte der Humangenetik und natürlich auch dier Rolle der Gewalt. Erzähltechnisch ist interessant, dass die Figur sein allmähliches Wissen über das Rapture-Experiment nur aus Überresten und Tonaufnahmen zusammenfinden muß.
Am beängstigsten in Erinnerung habe ich als Vater die Situation wo die Hauptfigur die kleinen Mädchen in Händen hält und über ihr Schicksal entscheiden muß. Das war eine der emotionalsten und schwierigsten Situationen, die ich je im cyberspace erlebt habe. An dieser Stelle habe ich damals überlegt, ob man das als Spieledesigner so machen "darf". Aber im Endeffekt ist gerade die Szene gut, weil sie den Spieler voll emotional beteiligt, was die wenigsten Computerspiele tun: da entscheidet man virtuell über Menschenleben oder sogar Völker (zuletzt Mass Effect 3), die dann noch in zwei bis drei Nebensätzen als vernichtet abgehandelt werden -- entweder wird Ihnen für Ihr Opfer gedankt oder betont wie unvermeidlich das leider leider war. Danach geht die Story weiter.
Was diese Aspekte angeht halte ich Bioshock für ein sehr ehrliches Spiel und FSK18 eigentlich sogar für überzogen. Wenn ich aber die hier meistdiskutierte Szene sehe komme ich wieder ins Grübeln. Das Problem ist ja nicht, dass die Figuren bluten, wenn man sie schlägt: das ist sogar wichtig, nur leider hatte die FSK in Deutschland hier lange falsche Masstäbe.
Das Problem im Let's Play ist die Art von Kontrollverlust, die der Moderator in der Szene erleidet: Die Gewalt ist nicht mehr notwendiges Mittel zum Zweck = Überleben, sondern die Gewalt bekommt eine Eigendynamik und regiert den Spieler, der eigentlich umgekehrt sie regulieren sollte. Schliesslich wird sie sogar regelrecht gefeiert, die Gewalt wird zum Kult.
Der Moderator ist auch nicht mehr in der Lage die Perspektiven zu wechseln ("Was will mir das Spiel eigentlich an dieser Stelle sagen? Was empfindet wohl die Hauptfigur die von null auf hundert so schrecklichen Szene ausgesetzt wird?" ). Ein journalistisch gutes Let's Play würde diese Sichtweisen ansprechen um herauszufinden, was die Szene denn erzählerisch beim Spieler erreichen will und was sie tatsächlich an Gefühlen freisetzt. Sicher ist das sehr schwierig. Ich behaupte dass in der Szene auch Verlegenheit eine Rolle spielt, die eben mit den gewaltsamen Sprüchen überkompensiert wird. Nur gerät das total aus dem Ruder.
Ich wüsste auch nicht, was ich als Live-Kommentar an so einer Stelle sagen sollte. Ist schwierig. Aber die in diesem Fall gefundene Lösung hatte vielleicht mit Verlegenheit zu tun, aber sie kommt über den Bildschirm rüber wie eine absolute Karikatur des durchgeknallten Gamers, da hat Amiga völlig Recht.
Was der Kriminologe Chr. Pfeiffer/Hannover und sein endloses Heer von Doktoranden in ihren Arbeiten und Fernsehauftritten aus solchen Szenen machen geht genau in die Richtung. Da wird man sicher weniger Verständnis finden als hier, für die ist das gefundenes Fressen.
Schon deshalb würde ich die Bioshock Let's Plays zurückziehen, neu machen, schneiden, neu vertonen. Irgendwas davon. Folge 2 würde ich instant vom Netz nehmen -- mir persönlich wäre allein schon der Kontrollverlust peinlich.
Ich finde aber z. B. nicht, dass die Teile der Risen LP die ich gesehen habe schlecht sind. Das ganze ist natürlich auch Übungssache und der Vergleich mit Profis wie Gronkh oder Basti oder Steve (viel mehr kenne ich nicht) ist natürlich anspruchsvoll: die haben immer ein Konzept für jede Aufzeichnung, Basti hat seinen Zettel früher ja auch in die Kamera gehalten.
Clouud hat eine gute Sprechstimme gerade wenn man andere LPs in Youtube heranzieht -- das kann man oft keine zwei Minuten aushalten. An sowas kann man arbeiten und es lohnt sich ja auch für ne Menge Berufe (von Radio über Anwalt, Lehrer bis zu normalen Vorträgen die fast jeder halten muß).
Ich würde durchaus zum Weitermachen raten, aber zu mehr Reflektion im Inhalt und zur Selbstzensur bei Stellen, die außer Kontrolle geraten sind.
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kaahne - Geistlande Administrator
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